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WWOOFing bei den Locals

WWOOFing bei den Locals

In Serbien angekommen verbrachten wir fast ganze zwei Wochen in der Region des Nationalparks Fruska Gora nahe der Stadt Novi Sad.
In den nächsten Tagen sollten wir diese Stadt insgesamt sechsmal besuchen - und das zu weniger schönen bzw. erfolgreichen Anlässen. Trotz ihrer knapp 300.000 Einwohner kam sie mir größer und hektischer vor als Bremen oder Köln. Alle gleich aussehenden Straßen sind rechts und links von Hochhäusern umgeben, in denen sich in der untersten Etage Geschäfte mit riesigen Reklamen befinden. Aus drei Autospuren werden zu weilen vier bis fünf Spuren, der schnellere Autofahrende hat Vorfahrt. Die Hektik und der starke Verkehr kommen dadurch zustande, dass die meisten Menschen in der Stadt Auto fahren, da  es nur Busse aber keine Bahnen gibt. Die ist aber nur ein erster flüchtiger Eindruck, der sicherlich durch die Erlebnisse in der Stadt negativ gefärbt ist.

Novi Sad #1: Auf der Suche nach der Impfung

Direkt nach Grenzübertritt fuhren wir in ein Einkaufszentrum in Novi Sad, da es dort kostenlose und terminfreie Impfungen auch für Nicht-Serben geben sollte. Also versuchten wir unser Glück und nahmen Tüte in das durch ein Schild als "pet friendly"" gekennzeichnete Shoppingcenter mit. Kurz danach wurden wir von einem hektisch fluchenden Securitymann in gelber Warnweste gestoppt. Tüte musste das erste Mal in ihrem Leben "fat-shaming" auf Serbisch über sich ergehen lassen, denn anscheinend wurde hier zwischen dem Gewicht der Hunde diskriminiert und Tüte war mit ihren über 10kg einfach zu schwer. Shame on her! Also wartete ich mit ihr draußen, während Christian sich auf die Suche nach einer Impfung begab. Toller Start, dachte ich. Da kam der Securitymann extra noch einmal raus zu mir und suchte jemanden, der Englisch sprach, um mir das Schild, auf dem die Regeln für Hunde erklärt waren, übersetzen zu können. Sehr freundlich, dachte ich. Nach einer Weile kam Christian leider erfolglos wieder, da die Impfung von Ausländer*innen wohl eingestellt worden war. Beim Ausparken machten wir uns dann noch eine große Macke in den Bulli und fuhren etwas enttäuscht auf einen Eco-Campingplatz im Nationalpark Fruska Gora, wo wir (wie im letzten Post bereits berichtet) die einzigen Gäste waren und die Ruhe und Natur genießen konnten. 

Novi Sad #2: Impfung die Zweite

Ein paar Tage später versuchten wir unser Glück erneut und fuhren zu einer Messehalle in Novi Sad, in der ebenfalls terminfrei geimpft wurde. Leider wurden wir auch hier weggeschickt. Dafür kam ich aus dem Staunen nicht raus, als wir bei der Suche nach einer Frühstücksmöglichkeit ein überfülltes Restaurant sahen, in dem die Menschen sogar rauchen. Während sie frühstückten. Für uns mittlerweile in Deutschland zum Glück unvorstellbar. 

WWOOFing bei einer serbischen Familie

Nach ein paar entspannten Tagen auf dem Eco-Campingplatz im Nationalpark Fruska Gora wollte ich für eine Woche bei einer serbischen Familie WWOOFen (World Wide Opportunities on Organic Farms) und Christian ein bisschen Musik produzieren. Für die, die das Konzept des WWOOFens nicht kennen: es gibt eine Internetplattform, wo sich Menschen als Gastgeber (Host) zur Verfügung stellen. WWOOFer, meist Reisende, kommen dann zu den Hosts, arbeiten auf ihrer Farm oder an ihrem Projekt ein paar Stunden am Tag und bekommen dafür Unterkunft und Essen gestellt. Hierbei geht es vielmehr um den kulturellen Austausch, bei dem u.a. Fähigkeiten und Ideen geteilt und voneinander gelernt wird, als um eine monetäre Beschäftigung. Über dieses Portal fand ich eine sehr sympathische Familie nahe Novi Sads, ebenfalls am Rande des Nationalparks Fruska Gora gelegen, welche gerade ein Bed&Breakfast aufbaut. (Ihr Projekt: https://www.sumska1.com) Ich wollte ihnen bei der Gartenarbeit und der Kinderbetreuung helfen. 

Also machten wir uns an einem regnerischen Tag auf den Weg in die hügellige Landschaft Fruska Goras, die engen und nassen Straßen hinauf. Google Maps versagte und schickte uns Wege entlang, die nicht für unser Auto gemacht waren. Einmal mussten wir 30 Meter eine steile Straße rückwarts zurückfahren, da es keine Wendemöglichkeit gab. Ein andermal war der Weg so steil und rutschig, dass wir gar nicht mehr hochkamen. Zum Schluss blieben wir auch noch im Schlamm stecken, schafften es aber zum Glück wieder heraus und rutschten die Straße wieder hinunter, ohne bremsen zu können. Irgendwann rief mich unsere Gastgeberin Iva dann an, holte uns mit ihrem Auto ab und zeigte uns den richtigen Weg. Die ganze Familie und die anderen WWOOFer begrüßten uns herzlich und warteten mit einem leckeren, veganen Abendessen auf uns. 

Da die nächsten Tage ebenfalls regnerisch werden sollten und es keine gute Parkmöglichkeit für den Bulli gab, mietete Christian sich in ein nahe gelegenes Apartment ein, um Musik zu produzieren und ich übernachtete mit Tüte im Zelt in dem wundervollen Garten der Familie. 

Novi Sad #3: Besuch bei der Polizei

Am nächsten Tag, als wir gerade spazieren waren, rief mich Iva an: "Ihr müsst jetzt zur Polizei in Novi Sad fahren und euch ausweisen. Meine Mutter wartet dort auf euch und hilft euch beim Übersetzen". Als uns unsere Gastgeber bei der Polizei melden wollten (in Serbien muss man seinen Aufenthalt immer innerhalb der ersten 24 Stunden bei der Polizei melden, damit sie immer weiß, wo man ist), gab es anscheinend ein Problem. Wir befanden uns seit 5 Tagen in Serbien, waren aber noch nicht registriert. Es stellte sich heraus, dass uns der Campingplatz, bei dem wir zuvor waren, einfach nicht gemeldet hatte (um wahrscheinlich die Touristensteuer zu sparen, die sie abdrücken müssen). Wir riefen die Campingplatzbetreiberin an, die sich komische Ausreden ausdachte, zum Glück aber so ehrlich war und unseren Aufenthalt bei der Polizei persönlich bestätigte. Trotzdem führte ein längeres Diskutieren mit dem Polizisten zu nichts, wir sollten am nächsten Morgen wieder kommen und mit dem "Inspector" sprechen. Im schlimmsten Fall droht eine Geldstrafe oder Ausreise aus dem Land. Wir waren ziemlich verärgert, denn nun mussten wir das Versäumnis der Campingplatzbetreiberin ausbaden und fühlten uns von der Polizei doch etwas schikaniert. Hinzukamen kamen Schwierigkeiten bei der Übersetzung und  Informationsweitergabe über drei Leute und drei Sprachen. 

Novi Sad #4: Polizei die Zweite

Nun gut, also ging es am nächsten Morgen wieder zur Polizei. Die Campingplatzbetreiberin füllte ein Formular aus und hatte etwas Angst, ihren Job zu verlieren. Nach zwei Stunden Warten und Diskutieren wurden wir dann endlich nachgemeldet und befinden uns jetzt legal im Land. Jetzt konnte ich endlich mit der "Arbeit" bei meiner Gastfamilie beginnen. Vormittags bespaßte ich die wirklich zuckersüßen kleinen Jungs zusammen mit zwei anderen Volunteers, nachmittags unternahmen wir alle gemeinsam lange Spaziergänge in dem riesigen Wald oder chillten in einer gemütlichen, sehr hundefreundlichen Hippiebar.

Bei einer Wanderung musste die gesamte Truppe einmal auf mich warten, da ich eine leichte Unterzuckerung hatte. Alle waren sehr verständnisvoll, doch trotzdem fühle ich mich in der Rolle die "Schwache" zu sein, nicht mehr Herrin über meinen eigenen Körper zu sein, sehr unwohl. Da meine Werte an dem Tag sehr niedrig waren und ich mit einigen Unterzuckerungen schon zuvor in der Nacht zu kämpfen hatte (ich hatte meine Periode bekommen und dann sind meine Werte direkt viel tiefer), verzichtete ich abgesehen von Essen das erste Mal seit meiner Diagnose auf eine Aktivität wegen meiner Erkrankung. Ja, man kann alles machen mit Diabetes, man muss es nur besser vorbereiten und organisieren. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich aber nicht gut vorbereitet, nicht sicher genug, in eine 70 m lange dunkle Höhle zu kriechen, die teilweise nur einen Meter hoch und zudem noch sehr schlammig war. Was, wenn ich dort unterzuckere? Das war mir einfach zu riskant. Für viele ist es sicherlich schon eine Horrorvorstellung in einer dunklen, engen Höhle stecken zu bleiben. Und dann auch noch mit einer Unterzuckerung? Nein danke. Das erste Mal verzichtete ich also auf etwas wegen Diabetes. Richtig eingestanden habe ich es mir erst ein paar Tage später und den anderen erzählte ich den Grund auch nicht. Warum? Ich möchte nicht noch "schwacher" wirken, ich möchte nicht, dass alle immer fragen: "Geht es dir gut?", "Kannst du das auch essen/machen?" Glaubt mir, ich werde jede Minute an meine Krankheit erinnert. Da brauche ich nicht noch andere, die das zusätzlich tun, auch wenn es - das weiß ich - nur gut gemeint ist. Denn natürlich erzählte ich meiner Gastfamilie vom Diabetes. Zum Einen sollten sie im Notfall Bescheid wissen, was zutun ist. Zum Anderen müssen sie es verstehen, wenn ich bei der Arbeit Pausen mache und mich vor allen spritze. Abgesehen von den neugierigen Fragen, die ich zu Aufklärungszwecken (noch) gerne beantworte, führte meine Offenheit nämlich genau zu solchen (gut gemeinten) Situationen. Es wurde kommentiert, welches Essen gut für mich sei, es wurde extra Vollkornbrot für mich gekauft und sich entschuldigt, als es mal einen Kuchen gab. Da hatte ich schon fast ein schlechtes Gewissen als ich lieber das Weiß- als Vollkornbrot  und natürlich ein Stück Kuchen aß. Dafür freute ich mich das erste Mal über eine kleine Unterzuckerung als wir in der Hippiebar eine Pause einlegten und ich mir ohne schlechtes gewissen einen frisch gepressten Saft gönnen konnte.

Nachts brachte mich das Rascheln der Igel, das Bellen der Hunde, der starke Wind und Regen und die ein oder andere Unterzuckerung um den Schlaf, aber hey, gut schlafen tue ich seit der Diagnose eh nicht mehr. Also was soll's :-) Dafür ist es umso schöner, am nächsten Morgen in der Sonne im Garten Yoga zu machen, einen Kaffee zu trinken und Tüte einfach so laufen zu lassen. Denn abgesehen von den Katzen, die sich gut vor Tüte versteckten, freundete sie sich mit den beiden Hofhunden schnell an und genoss ihre Freiheit. Auch mit den freilaufenden und kläffenden Hofhunden klappte es immer besser und Tüte lief entspannt an ihnen vorbei. Einmal warteten drei Hunde auf uns und blockierten die Straße. Als wir näher kamen krochen sie schnell durch ein Loch im Zaun und fingen an, laut hinter dem Zaun zu bellend und hin und her zu rennen. Nachdem wir vorbei gegangen waren, kamen sie wieder auf die Straße und blickten uns nach :-)

Novi Sad #5: Tüte ist lebensbedrohlich erkrankt.

Als Tüte nach ca. fünf Tagen bei der Familie nicht mehr von meiner Seite wich, entspannt den ganzen Tag schlief und nicht einmal mehr beim Anblick der Katze und des Tischtennisspielens bellte, dachte ich zunächst: Toll, sie ist endlich angekommen und hat sich an alles gewöhnt. Als sie dann aber am nächsten Morgen nicht mehr aufstehen wollte und fiepte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Also fuhren wir zum Tierarzt in Novi Sad, der Tüte das Leben rettete. Nach einer Blutuntersuchung stellte er die Diagnose Babesiose, eine schnell tödlich verlaufende, von Zecken übertragene Krankheit. Tüte hatte in den letzten Tag trotz Zeckenhalsband einige Zecken gehabt. Wie viel Pech kann man haben? Tüte nimmt einfach alles an Krankheiten mit. Der Tierarzt war zum Glück sehr kompetent und verabreichte ihr ein starkes Medikament, von dem sich Tüte mehrmals im Auto übergab. Abends ging es ihr von Minute zu Minute besser...welch Erleichterung!

Novi Sad #6: Tüte muss zum Tierarzt die Zweite

Am nächsten Tag wurde Tüte, deren internationaler Name aufgrund der einfacheren Aussprache nun "Toni" ist, nochmals vom Tierarzt durchgecheckt. Ihr ging es viel besser und so konnte es bei der einmaligen Behandlung bleiben. Wären wir einen Tag später gekommen, hätte der Verlauf der Krankheit viel komplizierter, wenn nicht sogar tödlich enden können. Erleichtert, und insgesamt mit nur 42€ (!) weniger im Portemonnaie verließen wir Novi Sad nun zum sechsten - und letzten - Mal. 



Wir verbrachten noch wundervolle Tage bei der Familie mit gutem Essen, viel Tischtennis und tollen Spaziergängen. Abends machte Christian mit den anderen Reisenden Musik. Uns wurde hier so viel Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegengebracht. Auch die anderen Einheimischen, die wir bei alltäglichen Situationen kennenlernten, waren stets hilfsbereit und immer für ein Pläuschchen zu haben. Alle lieben Tüte, ähm sorry, ich meine Toni, und Hunde sind hier überall willkommen. Bis auf den Besuch bei der Polizei fühlen wir uns hier sehr wohl und genießen die Entspanntheit der Menschen. Von der Zeit bei der Familie nehme ich viel mit, dessen Ausführung diesen Blogeintrag sprengen würde. Knapp zusammengefasst: mehr Gelassenheit oder "et hätt noch immer jot jejange" ;-)

In dem Sinne geht die Reise weiter nach Belgrad, vielleicht bekommen wir ja dort eine Impfung...?

Eure Zuckertüten

Kommentare

  1. Zum Glück überwiegen ja die positiven Erlebnisse. Ich drücke euch die Daumen, dass es endlich mit der Impfung klappt.

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